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Die Drei von der Tankstelle – Reformideen für die nächste GWB-Novelle (und ihre Kritik)

Nach der Novelle ist vor der Novelle. Erst im Januar 2021 wurde das deutsche Kartellrecht durch die 10. GWB-Novelle umfassend reformiert. Nun steht möglicherweise bereits die nächste Reform vor der Tür. Anlass sind die weiterhin hohen Benzinabgabepreise an Deutschlands Tankstellen. Die engmaschige Überwachung der Preise durch das Bundeskartellamt („BKartA“) sowie die bereits angestoßene Sektoruntersuchung der Mineralölbranche sind der Bundesregierung nicht genug. Es dürfe nicht sein, dass der sog. „Tankrabatt“ – d.h. die befristete Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe – nicht 1:1 an die Verbraucher weitergegeben werde – zumal sich der Abstand zwischen Rohölpreis und Tankstellenpreis weiter vergrößere. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz („BMWK“) unter Minister Robert Habeck fordert daher in einem Positionspapier nun umfassende Reformen des deutschen Kartellrechts. Dieser Beitrag bespricht die Vorschläge und ordnet sie kritisch ein.

Bislang sind drei Eckpfeiler bekannt, die das BMWK für die angeregte Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) vorsieht; im Folgenden finden sich dazu jeweils auch Zitate aus dem Positionspapier des Ministeriums.

Missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit

Zur Zeit sind strukturelle Eingriffe in Märkte und Unternehmen nur bei einem Kartellrechtsverstoß oder im Rahmen von Fusionskontrollentscheidungen möglich. Märkte, die zwar „stark verfestigt“ sind, auf denen aber weder ein Verstoß gegen das Kartellverbot noch ein Missbrauch von Marktmacht noch eine wettbewerbsschädliche Fusion zu beobachten ist, seien daher, so das BMWK, für das BKartA faktisch unantastbar. Dem soll eine missbrauchsunabhängige Entflechtungsmöglichkeit entgegentreten. Auf oligopolistischen Märkten mit hohen Gewinnmargen, die sich zum Nachteil der Endkunden verfestigen, sodass hohe Preise oder schlechte Qualität die Folgen sind, könne sie „sinnvoll Abhilfe schaffen“. Sie biete die Chance, verfestigte Märkte aufzubrechen und so für mehr Wettbewerb zum Schutz der Verbraucher:innen zu sorgen. Der wesentliche Vorteil des Instruments bestehe in der Reduktion oligopolistischer Strukturen und der damit verbundenen negativen Effekte aufgrund mangelnden Wettbewerbs – ohne den Zwang zu einer bloßen ex-post-Kontrolle, die an bereits festgestellte oder zumindest drohende konkrete GWB-Verstöße anknüpft. Das Instrument könne dort präventiv wirken, wo Marktmacht missbraucht werden kann, der Missbrauch aber schwer nachweisbar ist. Das BMWK räumt dabei allerdings selbst ein, dass diese Eingriffsmöglichkeit „an klar definierte Bedingungen geknüpft“ und nur „ultima ratio“ sein dürfe.

Vereinfachung der Gewinnabschöpfung

Bereits heute sieht § 34 GWB die Möglichkeit der sog. Vorteilsabschöpfung vor. Dieses Instrument ermöglicht den Kartellbehörden, Unternehmen Vorteile zu entziehen, die sie aus kartellrechtswidrigem Verhalten erlangt haben; die abgeschöpften Beträge fließen dann der Staatskasse zu. Es wird vom BMWK jedoch offensichtlich als nicht schlagkräftig genug begriffen, da es vom BKartA bislang nie eingesetzt wurde. Die Vorteilsabschöpfung erfordert laut BMWK „komplexe Analysen und Berechnungen zur Bestimmung der Höhe des abzuschöpfenden Gewinns“. Zudem stelle der in § 34 Abs. 1 GWB vorgesehene Nachweis, dass ein Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig gegen das Kartellrecht oder eine Verfügung der Kartellbehörde verstoßen und dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat, einen wesentlichen Hemmschuh dar. Das betreffe unabhängig von der Frage eines objektiven Verstoßes auch den Nachweis des Verschuldens; dieser sei „insbesondere bei komplexen Preishöhenmissbrauchsverfahren eine hohe Hürde“. All diese Hürden sollen mit der nächsten GWB-Novelle gesenkt werden. Wie? Das lässt das BMWK offen.

Sektoruntersuchungen schlagkräftiger ausgestalten

Last but not least soll auch § 32e GWB, d. h. die Möglichkeit zur Sektoruntersuchung einzelner Wirtschaftszweige durch das BKartA, reformiert werden. Es gebe, so das BMWK, zur Zeit eine nur unzureichende „Verzahnung mit daraus folgenden, ggf. auch strukturellen, Maßnahmen auf den Märkten“. In der Tat dient das Instrument der Sektoruntersuchung zur Zeit nur der Gewinnung eines besseren Marktverständnisses durch die Kartellbehörden und der Erlangung von Informationen für spätere Ermittlungen in Einzelverfahren gegen konkrete Unternehmen; eine unmittelbar mit der Untersuchung verknüpfte Gestaltung der Gesamtmarktverhältnisse ist nicht vorgesehen. Das BMWK will daher Reformoptionen prüfen, „wie in Zukunft das Bundeskartellamt unmittelbar aus einer Sektoruntersuchung Maßnahmen ableiten kann“ – wobei dann natürlich auch das neue missbrauchsunabhängige Entflechtungsinstrument ein Teil des Werkzeugkastens sein soll.

Angestrebt wird anscheinend, dass die entsprechenden Änderungen schon in den kommenden Monaten Gesetz werden sollen. Das Positionspapier spricht jedenfalls einleitend davon, dass die entsprechende GWB-Novelle „noch auf dieses Jahr vorgezogen werden“ soll. Angedeutet wird darin zudem, dass neben den o. g. Punkten auch noch weitere Anpassungen in Kraft treten könnten.

Kritik der Vorschläge

Während die Reform des §32e GWB nach jetzigem Informationsstand keinen durchgreifenden Bedenken begegnet – tatsächlich sind an Sektoruntersuchungen anknüpfende Marktstruktureingriffe z. B. im Vereinigten Königreich seit Jahren Teil des kartellbehördlichen Arsenals und ist die Eingriffsintensität für die einzelnen Unternehmen nicht zwingend fundamentaler Natur – sieht dies bei den anderen oben beschriebenen Instrumenten anders aus. Hier versucht das BMWK einen Drahtseilakt.

Einerseits tritt sehr klar zu Tage, dass der Anlass des Vorstoßes das unbefriedigende (Preis-)Ergebnis rund um den sog. Tankrabatt ist. So wird in dem Positionspapier insbesondere das angedachte Entflechtungsinstrument ausführlich in den Kontext von Tankrabatt und Kraftstoffmärkten gestellt. Es sei nämlich auf diesen Märkten kaum möglich, einen Kartellrechtsverstoß nachzuweisen. Die aus Behördensicht oligopolistische Marktstruktur erlaube ein an sich kartellrechtskonformes Parallelverhalten im Markt, d. h. eine Verhaltensanpassung der Wettbewerber – insbesondere bei der Preissetzung – für die es keiner Absprache untereinander bedarf. Möglich mache dies die hohe Markttransparenz (es reicht aus, einfach die auf der Straße bestens erkennbaren Preistafeln der nächstgelegenen Wettbewerber zu beobachten – und das eigene Verhalten daran anzugleichen).

Andererseits gibt sich das Ministerium in seiner Kommunikation viel Mühe, die allgemeinen Vorteile der angedachten Reformen zu betonen. Die Entflechtungsmöglichkeit könne präventiven Charakter in allen Märkten haben und nütze den Verbraucher:innen. Gleiches gelte für die Erleichterung der Vorteilsabschöpfung. Denn diese erhöhe „für die Zukunft die Schlagkraft der Kartellrechtsdurchsetzung“ und sende „bereits jetzt ein Signal an die Märkte, dass das Kartellamt künftig stärker durchgreifen kann“. Wiederum gleichzeitig wird freilich betont, dass beide diese Reformen selbst auf den anlassbildenden Kraftstoffmärkten „nicht kurzfristig“ wirken könnten. Die Reformideen sollen also – zusammengefasst – zwar anlassbezogen, aber doch allgemein sein.

In jedem Fall sind sie eines: schwierig. Wie Minister Habeck in Interviews betonte, wolle man ein Kartellrecht mit „Klauen und Zähnen“; ganz ohne Maulkorb wird man dabei aber nicht auskommen können.

Schwierig wird es vor allem bei der konkreten Umsetzung der Entflechtung und der Verschärfung der Gewinnabschöpfung werden. So bleibt insbesondere unklar, worin der präventive Charakter der missbrauchsunabhängigen Entflechtung angelegt sein soll. Denn ohne (potenziell kartellrechtlich kritische) Fühlungnahme wird es den Unternehmen nicht möglich sein, den vom BMWK kritisch beäugten Oligopol-Strukturen selbst entgegenzutreten. Sollte die Kommunikation des BMWK hier dagegen auf die Präventionsarbeit des BKartA abstellen, so wird diese maßgeblich davon abhängen, wie genau die Eingriffsbedingungen später ausgestaltet würden. Angesichts der Intensität des Eingriffs in das Eigentumsgrundrecht, das jede Entflechtungsanordnung mit sich brächte, dürfte die völlig präventive Entflechtung, bei der es ausreicht, wenn das BKartA lediglich nachweist, dass ein Markt oligopolistisch beschaffen ist, verfassungsrechtlich nicht haltbar sein. Vielmehr müssten zusätzliche Tatbestandsmerkmale bzw. Eingriffsvoraussetzungen formuliert werden, die eine konkrete Gefahr für ein Marktergebnis abbilden, das kartell- bzw. marktmachtmissbrauchsähnlich ist. Hierzu bedürfte es der genauen Analyse und Darlegung von Marktdefiziten, verbunden mit einem entsprechenden prognostischen Urteil (analog zur materiellen Prüfung von Fusionen und Übernahmen, die ebenfalls im Hinblick auf durch sie hervorgebrachte Marktstrukturverschlechterungen prognostisch analysiert werden). Ohne eine solche Einhegung drohte das geplante neue Instrument in staatlicher Willkür zu enden und letztlich auch weite Teile der Fusionskontrolle und des Verhaltenskartellrechts obsolet zu machen.

Ähnliche Bedenken ergeben sich im Hinblick auf die Novelle der Gewinnabschöpfung. Auch hier wird aus verfassungsrechtlichen Gründen zu fordern sein, dass die abzuschöpfenden Gewinne ihren Grund in außergewöhnlichen, bei funktionierendem Wettbewerb nicht zu erwartenden Umständen haben. Andernfalls fehlte nicht nur der notwendige Zusammenhang zum Schutzgut des GWB (dem funktionierenden Wettbewerb), sondern ergäbe sich die Möglichkeit zu einer nach rein subjektiven Maßstäben vollzogenen Gewinnabschöpfung. Eine anlasslose Umverteilung angeblich „zu hoher“ Gewinne ist in der deutschen Verfassungs- und Wirtschaftsordnung nicht vorgesehen. Berichten zufolge will das BMWK derartigen Bedenken mit einer „Beweislastumkehr“ zum Nachteil der Unternehmen entgegentreten. Bislang aber, so musste Finanzminister Lindner kürzlich in einem Interview einräumen, hat die Bundesregierung nicht einmal mit Blick auf den Mineralölsektor genaue Erkenntnisse über ungewöhnlich hohe Gewinne, die (allein) durch den Tankrabatt entstanden sind. Und selbst wenn dies anders wäre, müsste es den betroffenen Unternehmen im Rahmen der Beweislastumkehr ja immer noch möglich sein, sich durch Darlegung objektiver die Preis- und Gewinnspannen erhöhender Umstände zu „entschuldigen“. Gerade auf von internationalen Entwicklungen stark abhängigen Märkten– man denke nur an die komplexen Rückwirkungen von Lockdowns in Asien, strapazierten Lieferketten oder steigenden Frachtkosten und Rohstoffpreisen – wäre damit in vielen Branchen keinesfalls ausgemacht, dass, wie seitens des BMWK skizziert, stets ein schnelles und weitgehend umstandsloses Abschöpfen durch die Behörden möglich ist.

Der Weg nach Vorne

Klar ist also: Sollte die Bundesregierung den nun beschrittenen Weg fortsetzen, so wird dies alles andere als ein Spaziergang. Dies gilt auch und gerade für die praktische Umsetzung der entsprechenden Gesetze, die sowohl verfassungsrechtlichen Prinzipien genügen als auch für die Behördenpraxis handhabbar sein müsse. Man bedenke: aus Sicht des BKartA stünde hinter jeder der oben beschriebenen Maßnahmen potenziell eine Vielzahl von Einzelverfahren, deren Ergebnis jeweils mit Rechtsmitteln angreifbar wäre. Nicht auszuschließen daher, dass angesichts dieser Hürden doch noch ein Umdenken einsetzt; das letzte Wort dürfte hier noch lange nicht gesprochen sein.

Sämtliche in Deutschland aktiven Unternehmen sollten die Lage dennoch unter genauer Beobachtung halten.

 

 

Verfasst von: Martin Sura und Florian von Schreitter.

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