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Kartellrechtliche Schranken für Preiserhöhungen?

Kartellrecht kann Preiserhöhungen Schranken setzen, wenn die Voraussetzungen eines Preishöhenmissbrauchs erfüllt sind. Entscheidungspraxis dazu ist aber rar. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird daher das von EDEKA gegen Coca-Cola angestrengte Gerichtsverfahren. Nun liegt das Urteil des Landgerichts Hamburg vor. Wir fassen die Entscheidung zusammen und ziehen Schlussfolgerungen für die Praxis.

Harte Verhandlungen zwischen Herstellern und Handelsunternehmen sind nicht neu. Die aktuellen Entwicklungen haben die Lage aber noch einmal verschärft. Hersteller sehen sich Inflation und erheblichen Kostensteigerungen bei Rohstoffen, Energie und Transport ausgesetzt und verlangen höhere Preise. Die Handelsunternehmen sehen ihre Marge bedroht und halten dagegen. Diese Gemengelage führte EDEKA und Coca-Cola nun vor Gericht, wo der Einzelhändler dem Getränkehersteller kartellrechtswidrig überhöhte Preise vorwarf und die Lieferung zu niedrigeren Preise verlangte. Das Verfahren ist äußerst aufschlussreich und hat Signalwirkung, weil es bislang nur wenig Rechtsprechung zur kartellrechtlichen Frage des Preishöhenmissbrauchs gibt.

Dieser Artikel fasst die Vorgeschichte und Entscheidung des LG Hamburg zusammen und zieht Schlussfolgerungen für die Praxis.

Vorgeschichte

Coca-Cola und EDEKA verhandelten letztlich ergebnislos über Lieferungen zu den vom Hersteller geforderten höheren Preisen.

Daraufhin rief EDEKA im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes das Landgericht Hamburg an und erzielte einen schnellen Erfolg. Das Gericht verpflichtete den Getränkehersteller, EDEKA vorläufig weitere rund drei Wochen bis Ende September zu den alten Preisen zu beliefern. Das Gericht bejahte eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch den US-Konzern. Die sehr knappe Entscheidung begründete diesen Schluss kaum näher.

Gegen diese einstweilige Verfügung legte der Getränkehersteller Widerspruch ein. In der anschließenden – hitzigen – mündlichen Verhandlung deutete das Gericht bereits Zweifel am Fortbestand der vorläufigen Anordnung an. Mit Urteil vom 29. September 2022 hob es die Verfügung dann auch auf. Letzte Woche wurde das 19-seitige Urteil nun veröffentlicht.

Entscheidung des LG Hamburg

Nach dem Landgericht Hamburg fehlt es an mehreren Anspruchsvoraussetzungen für eine Lieferpflicht per einstweiliger Verfügung.

Marktbeherrschende Stellung / relative Marktmacht 

Das Gericht bejaht zunächst eine marktbeherrschende Stellung des Getränkeherstellers auf dem “Markt für kohlensäurehaltige Süßgetränke” in Deutschland, unter Verweis auf entsprechende Praxis des Bundeskartellamtes. Coca-Cola hatte in der mündlichen Verhandlung noch versucht, die Komplexität der Frage der Marktabgrenzung zu verdeutlichen, welcher die Ausführungen der Antragstellerin nicht gerecht geworden wären.

Auf diesem Markt hat die Antragstellerin laut Urteil eine marktbeherrschende Stellung des Getränkeherstellers glaubhaft gemacht. Entscheidend stellt das Gericht auf die hohen Marktanteile von über 40 %. Das löse gemäß § 18 Abs. 4 GWB die Vermutung der Marktbeherrschung aus. Diese habe Coca-Cola letztlich nicht widerlegt, auch weil der Abstand zum nächstgrößeren Wettbewerber Pepsi groß sei.

Schlussendlich verneint das Gericht die Marktbeherrschung doch wegen des unbestimmten Antrags der Antragstellerin. So bezog sich der Antrag auf das gesamte Konditionsblatt, welches Gegenstand der Jahresgespräche 2022 zwischen Coca-Cola und EDEKA war. Dieses beinhaltete jedoch auch Getränke außerhalb des relevanten Marktes für kohlensäurehaltige Süßgetränke und es sei nicht Aufgabe des Gerichts, das zu sortieren.

Das Gericht lehnt auch eine relative Marktmacht des US-Unternehmens und damit einen Anspruch aus § 20 GWB ab. Edeka hatte insoweit mit „must-have-Produkten“ des Getränkeherstellers argumentiert. Voraussetzung für die Anwendung der Norm ist allerdings ein deutliches Ungleichgewicht zwischen den Betroffenen. Daran fehle es hier - aufgrund der starken Position EDEKAs gebe es vielmehr eine wechselseitige Abhängigkeit.

Preishöhenmissbrauch

Das Urteil verneint zudem missbräuchlich überhöhte Preise. Das ist der Kern der Entscheidung, dem sich das Gericht ausführlich widmet. 

Zum rechtlich Maßstab hält das Gericht fest: 

  • Preise seien missbräuchlich nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB überhöht, wenn sie von denjenigen abweichen, die sich bei wirksamem Wettbewerb ergeben. Um dies festzustellen, müsse der „wettbewerbsanaloge” Preis (Als-Ob-Preis) ermittelt und mit dem tatsächlichen Preis verglichen werden. Eine denkbare Möglichkeit zur Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises sei die Betrachtung der Preise auf vergleichbaren Märkten.

  • Auf diesen Vergleichspreis sei eine Sicherheitszuschlag vorzunehmen, um Unsicherheiten auszugleichen (gemäß BGH, 28.6.2005, KVR 17/04 – Stadtwerke Mainz). Diese träten bei einer schmalen Vergleichsbasis wie hier auf, wenn etwa auf Preise nur eines Wettbewerbers abgestellt wird.

  • Schließlich müsse der tatsächliche Preis den wettbewerbsanalogen Preis “erheblich” übersteigen (das Gericht stützt sich insoweit auf OLG Düsseldorf, 6.4.2022, VI-U (Kart) 12/21, mwN zur BGH-Rechtsprechung). Nur so sei “mit hinreichender Sicherheit [gezeigt] […], dass der verlangte Preis ungerechtfertigt und nur aufgrund der marktbeherrschenden Stellung durchsetzbar ist“. Das Gericht hebt in dem Zusammenhang den Preissetzungsspielraum der Lieferanten hervor, in den kartellrechtlich nicht ohne weiteres eingegriffen werden dürfe. 

Vor dem Hintergrund dieses rechtlichen Maßstabs lehnt das Gericht die Begründungsansätze von EDEKA ab:

  • EDEKA stellte auf eine erhebliche Preissteigerung gegenüber den bisherigen Preisen des Getränkeherstellers ab und argumentierte mit den geringeren Preissteigerungen beim nächstgrößeren Wettbewerber Pepsi. Das weist das Gericht zurück. Es komme nicht auf (relative) Veränderungen, sondern das (absolute) Ergebnis an. Die prozentuale Steigerung zu früheren Preisen gebe keinen Aufschluss darüber, ob es sich beim jetzigen Preis als solchem um einen unangemessenen Preis handele. Auch die von der Rechtsprechung geforderten Sicherheits- und Erheblichkeitszuschläge seien nicht berücksichtigt worden. Das Vorbringen EDEKAs war laut Gericht schließlich zu vage. EDEKA habe zwar Pepsis prozentuale Preiserhöhungen genannt, aber weder die absoluten Beträge spezifiziert noch glaubhaft gemacht, dass nicht auch Pepsi die Preise (weiter) anziehe. 

  • Daneben stellte EDEKA auf den Markt für Bier und Biermixgetränke ab, auf dem Preissteigerungen geringer ausgefallen seien. Dieser bilde laut EDEKA einen geeigneten sachlichen Vergleichsmarkt. Dem folgt das Gericht nicht, weil der Abnehmerkreis ein “deutlich anderer” sei. Geeigneter für einen Vergleich wären laut Gericht die Märkte für “Wasser und Wassermixgetränke” oder “Süßgetränke ohne Kohlensäure” gewesen.

  • Das Gericht schließt mit einem obiter dictum: Alternativ und mangels brauchbarer Vergleichsmärkte wäre es in Betracht gekommen, auf die Preisbildungskalkulation des Herstellers abzustellen. Das Gericht bezieht sich auf den Erfahrungsaustausch aus der BGH-Rechtsprechung, wonach Unternehmen bei wirksamem Wettbewerb Preise so setzen, dass sie Kosten decken und eine möglichst hohe Rendite erwirtschaften, zugleich aber verhindern, dass Kunden wegen zu hoher Preise zum Wettbewerber abwandern (BGH, 15.5.2012, KVR 51/11 – Wasserpreise Calw). Das wäre laut Gericht eine Möglichkeit zur Ermittlung des wettbewerbsanalogen Preises gewesen. Die naheliegende Frage, wie EDEKA an die entsprechenden Informationen zur Preisbildungskalkulation von Coca-Cola hätte gelangen sollen, beantwortet das Gericht freilich nicht. 

Verfügungsgrund

Das Gericht verneint auch den Verfügungsgrund: EDEKA begehre letztlich eine Leistungsverfügung (auch wenn der Antrag auf Unterlassung gerichtet war), für die besonders strenge Anforderungen gelten. EDEKA sei durch die Nichtbelieferung weder in ihrer Existenz gefährdet – zumal beide Parteien die Nichtbelieferung als nur temporären Zustand begreifen – noch stehe der ihr drohende Schaden außer Verhältnis zu dem Schaden, der Coca-Cola durch die sofortige Weiterbelieferung drohe. Ein solcher „Schadensvergleich“ würde auch erfordern, dass EDEKA den ihr durch die Nichtbelieferung drohenden Gewinnausfall beziffert. Das hatte der Händler aber nicht getan.

Bewertung und praktische Implikationen

Die Entscheidung ist in mehrerer Hinsicht aufschlussreich für die Praxis:

  • Die Fallpraxis zum Preishöhenmissbrauch ist eher spärlich, daher stellen die Ausführungen des Gerichts hilfreiche Konkretisierungen der kartellrechtlichen Leitplanken dar. Bislang betreffen viele Fälle Sektoren mit besonderen Faktoren wie staatlich abgesicherte Monopole oder Exklusivitäten, etwa in den Bereichen Gas- und Stromversorgung, Wasserversorgung, Kabelnetze und Pharma.

  • Was die Marktbeherrschung angeht, trifft das Gericht überraschend klare Aussagen, obwohl gerade diese Frage ja oft mit vielen Unsicherheiten behaftet ist. Dies dürfte auch dem Rahmen des einstweiligen Rechtsschutz geschuldet sein.

  • Der Nachweis eines Preishöhenmissbrauchs dürfte schwierig bleiben, gerade im einstweiligen Rechtschutz. Die rechtlichen Hürden sind hoch – das Kartellrecht soll keine generelle Preiskontrolle ermöglichen. Und praktisch braucht es eine belastbare Ermittlung des Als-Ob-Preises, wozu insbesondere Preise auf vergleichbaren Märkten dienen können. Das Gericht geht hier einigen Ansätzen nach, die man im Blick haben sollte – Bildung eines zeitlichen Vergleichsmarkts, Identifizierung sachlicher Vergleichsmärkte oder Analyse von Kostenbildungsfaktoren. Jeweils ist nach dem Gericht sehr konkreter Vortrag erforderlich und Unsicherheiten müssen durch Sicherheitszuschläge ausgeglichen werden. Und es muss gezeigt werden, dass der verlangte Preis erheblich über dem ermittelten Wettbewerbspreis liegt und damit klar den auch kartellrechtlich geschützten Preissetzungsspielraum des Herstellers sprengt.

  • Für eine Anordnung einer Lieferpflicht per Eilrechtsschutz bestehen zudem enge prozessuale Grenzen. Eine Existenzgefährdung dürfte bei großen Abnehmern wie hier regelmäßig ausscheiden. Und ein übermäßiger Schaden, der eine Leistungsverfügung rechtfertigt, dürfte ebenfalls nicht einfach nachzuweisen sein.

Das letzte Wort in der Sache ist noch nicht gesprochen. EDEKA hat das Urteil des LG Hamburg angefochten.

 

 

 

Verfasst von Dr. Christoph Wünschmann, Dr. Marc Schweda und Dr. Lukas Rengier.

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