Unser interaktiver AI Hub informiert über die neuesten Trends und Entwicklungen.
Am 24. Juni 2022 verabschiedete der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses Chinas die Überarbeitung des Antimonopolgesetzes ("AMG"). Das überarbeitete AMG wird am 1. August 2022 in Kraft treten, und es ist davon auszugehen, dass ungefähr zur gleichen Zeit auch einige neugefasste AMG-Durchführungsverordnungen in Kraft treten werden. Die chinesische Kartellbehörde, die State Administration for Market Regulation ("SAMR"), hatte bereits am 27. Juni 2022 ein öffentliches Konsultationsverfahren für die überarbeiteten Fassungen von sechs solchen Durchführungsbestimmungen eingeleitet. Diese betreffen auch die chinesische Fusionskontrolle und werden tiefgreifende Neuerungen für das chinesische Kartellrecht und die Geschäfts- und Transaktionstätigkeit von Unternehmen in China haben. Im Folgenden geben wir einen Überblick über Chinas neue "Fusionskontrolle 2.0".
Der Bereich der Fusionskontrolle ist wahrscheinlich der praktisch bedeutsamste Aspekt der AMG-Novelle. Aus Unternehmenssicht ist der Eindruck allerdings gemischt. Eine Verbesserung ergibt sich dadurch, dass die Schwellenwerte für die Anmeldung erheblich angehoben werden sollen. Auch ist positiv, dass der Begriff des "Kontrollrechts" endlich gesetzlich definiert wird. Nachteilig dürfte sich dagegen auswirken, dass auch China nun einen "Stop-the-clock"-Mechanismus einführt; dies kann zu mehr Unsicherheit bei der (zeitlichen) Planung von Transaktionen führen.
Die "Draft State Council Regulation on the Notification Thresholds for Concentrations between Business Operators" ("Schwellenwerte-Verordnung") sieht alternative Kombinationen von Schwellenwerten vor. Der wesentliche Teil der bisherigen Regelung, wonach "mindestens zwei an dem Zusammenschluss beteiligte Unternehmen" im letzten Geschäftsjahr jeweils einen bestimmten Umsatz in Festlandchina erzielt haben müssen, bleibt dabei im Kern unverändert. Allerdings verdoppelt sich der insoweit maßgebliche Schwellenwert von „mehr als 400 Mio. RMB“ auf „mehr als 800 Mio. RMB“ (was zurzeit ungefähr 117 Mio. EUR entspricht).
Neu hinzu kommt nun eine Kombination, wonach ein Zusammenschluss (auch) unter den folgenden, jeweils auf das letzte Geschäftsjahr bezogenen Voraussetzungen anmeldepflichtig ist:
Ein an dem Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen hatte Umsatzerlöse in Festlandchina von über 100 Mrd. RMB (rund 15 Mrd. EUR),
die Marktkapitalisierung oder (geschätzte) Unternehmensbewertung der anderen Partei des Zusammenschlusses beträgt mindestens 800 Mio. RMB (rund 117 Mio. EUR) und
diese andere Partei erzielt mindestens 1/3 ihrer weltweiten Umsatzerlöse in Festlandchina.
Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht klar, ob die neuen Schwellenwerte zu einem allgemeinen Rückgang der Zahl der Fusionsanmeldungen in China führen werden. Während die Verdoppelung des bereits bisher bestehenden ersten Schwellenwerts wahrscheinlich zu einem spürbaren Rückgang der Anmeldungen führen wird, könnte die Hinzufügung der neuen Kombination diesen Rückgang ausgleichen – oder sogar zu einem Netto-Anstieg der Fallzahlen führen.
Zu erwarten ist allerdings, dass weniger „foreign-to-foreign“-Transaktionen anmeldepflichtig sein werden. Diese Transaktionen zwischen ausländischen Unternehmen machten in den vergangenen 14 Jahren wahrscheinlich den Großteil der Anmeldungen aus. Der Grund dafür ist, dass es bei (aus chinesischer Sicht) reinen Auslandszusammenschlüssen weniger Transaktionen geben wird, bei denen "mindestens zwei" ausländische Unternehmen einen Umsatz von jeweils mehr als 800 Mio. RMB erzielen.
Auch die neue Schwellenwert-Kombination dürfte nur auf wenige ausländische Unternehmen zutreffen, da diese selten einen Umsatz von mehr als 100 Mrd. RMB in Festlandchina erzielen. Auch erwirtschaften – mit Ausnahme bestimmter Branchen wie z.B. der Halbleiterindustrie – nur wenige multinationale Unternehmen mit Sitz im Ausland mehr als ein Drittel ihres Umsatzes in Festlandchina. Daher sind für ausländische Unternehmen unter dem Strich weniger Anmeldungen zu erwarten.
Im Gegensatz dazu dürfte die Zahl der Anmeldungen für große chinesische Unternehmen (deren Umsatz auf dem chinesischen Festland mehr als 100 Mrd. RMB beträgt) steigen, zumal die für das neue Kriterium der Marktkapitalisierung gewählte Schwelle nicht besonders hoch ist (800 Mio. RMB) und die Anforderung, dass ein Drittel des Umsatzes in Festlandchina erzielt werden muss, leicht erfüllt werden kann, wenn das Zielunternehmen in China ansässig ist. In der Tat soll die Novelle hier insbesondere "Killer-Akquisitionen" durch große chinesische Player verhindern (d.h. Unternehmenskäufe, mit der etablierte Großunternehmen die Bedrohung durch aufstrebende Konkurrenz durch vielversprechende Start-ups "eliminieren").
Insgesamt ist die Anhebung der Anmeldeschwellen grundsätzlich positiv zu bewerten. Die Hinzufügung eines zweiten Schwellenwerts und die Verwendung der Marktkapitalisierung bzw. Unternehmensbewertung stellt allerdings einen Parameter dar, der z.T. weniger objektiv zu bestimmen ist als die reinen Umsätze; dies schafft eine gewisse Unsicherheit.
Im neuen AMG ist die Möglichkeit für die SAMR verankert, auch Zusammenschlüsse unterhalb der Schwellenwerte zu untersuchen. Diese Möglichkeit war zwar schon bisher in einer Verordnung vorgesehen, hatte aber keine ausdrückliche Grundlage im AMG. Dementsprechend gibt für den gesamten Zeitraum seit Bestehen der AMG-Fusionskontrolle (d.h. seit 14 Jahren) keine veröffentlichten Entscheidungen, in denen die SAMR oder ihre Vorgänger-Behörde von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch gemacht hätte. Da nun aber das Gesetz eine ausdrückliche Rechtsgrundlage schafft, darf davon ausgegangen werden, dass die SAMR künftig durchaus derartige Verfahren initiieren wird.
Die Einzelheiten eines solchen Verfahrens sind im Entwurf der "Regulation on the Review of Concentration between Business Operators" ("Fusionsprüfungsverordnung") konkretisiert. Ein wesentliches Merkmal dabei ist, dass die SAMR von den Zusammenschlussparteien binnen spätestens 180 Tagen (vermutlich gemessen ab dem Zeitpunkt des Vollzugs der Transaktion) die Einreichung einer Fusionskontrollanmeldung verlangen kann, wenn sie der Auffassung ist, dass die Transaktion wahrscheinlich negative Auswirkungen auf den Wettbewerb hat. Zudem kann sie den Parteien eine Stillhalteverpflichtung auferlegen, d.h. die Parteien anweisen, die Transaktion nicht zu vollziehen oder – falls der Vollzug bereits stattfand – "andere notwendige Maßnahmen zu ergreifen".
Eine wichtige Verbesserung aus Unternehmenssicht liegt darin, dass in der Fusionsprüfungsverordnung nun konkreter definiert wird, was ein "Kontrollrecht" bedeutet. Dies ist deshalb wichtig, da der Erwerb eines Kontrollrechts das Hauptkriterium für die Feststellung eines "Zusammenschlusses zwischen Unternehmern" ist – und damit für die Frage ob überhaupt ein anmeldepflichtiger Vorgang besteht.
In den vergangenen 14 Jahren Fusionskontrollpraxis wogte in chinesischen Kartellrechtskreisen eine ständige Debatte darüber, wie dieses Konzept zu definieren ist. Dennoch sahen sowohl die SAMR als auch ihre Vorgängerbehörde davon ab, den Begriff in den früheren Durchführungsbestimmungen oder in der Fallpraxis zu definieren. Das Ergebnis dieser unbefriedigenden Situation war, dass viele Anwält:innen – und damit auch die von ihnen beratenen Unternehmen – einen sehr konservativen Ansatz verfolgten. So wurden insbesondere viele Vetorechte, die in der EU oder in anderen Rechtsordnungen nicht als für die Begründung von Kontrolle ausreichend angesehen werden, in China als Kontrollrechte ausgelegt und so die Basis für Fusionskontrollanmeldungen gelegt.
In der Fusionsprüfungsverordnung wird nun eine Definition des Begriffs "Kontrollrecht" vorgeschlagen, die dem Verständnis der europäischen Fusionskontrolle sehr nahekommt. Danach erwirbt ein Unternehmen dann ein Kontrollrecht, wenn es Einfluss auf die Geschäftsstrategie und das Management des Zielunternehmens nehmen kann, z.B. auf die Ernennung und Entlassung der Unternehmensleitung, das Budget und den Geschäftsplan.
Die Tatsache, dass es nun eine Definition dieses Schlüsselbegriffs gibt, wird die bisherige Unsicherheit verringern. Unternehmen, die in der Vergangenheit eine konservative Haltung eingenommen haben, können aufgrund dieser Klarstellung in Zukunft (und ganz unabhängig von der Änderung der Schwellenwerte) möglicherweise von einigen Fusionskontrollanmeldungen absehen.
Die Fusionsprüfungsverordnung enthält künftig noch weitere hilfreiche Klarstellungen. So sind die Kriterien für Verstöße gegen das Vollzugsverbot ("Gun Jumping") genauer ausbuchstabiert. Künftig wird die SAMR hier auf die Kriterien der (i) Eintragung von Veränderungen bei den Anteilseignern oder die Umsetzung von Rechteübertragungen und -wechseln, (ii) die Entsendung in das bzw. Beteiligung am Spitzenmanagement eines Unternehmens, (iii) die Beteiligung an der Unternehmensstrategie und -führung, (iv) den Austausch sensibler Informationen sowie (v) eine erhebliche geschäftliche Integration von Erwerber und Zielunternehmen abstellen.
Zudem werden nun auch der für die Bestimmung des "letzten Geschäftsjahres" maßgebliche Zeitraum und der Begriff der "an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen" in der Fusionsprüfungsverordnung definiert.
AMG und Fusionsprüfungsverordnung werden neben diesen hilfreichen Klarstellungen jedoch auch ein Moment größerer Unsicherheit mit sich bringen. Denn das chinesische Fusionskontrollrecht erhält nun erstmals einen "Stop-the-clock"-Mechanismus. Was ändert sich?
Nach jetziger Rechtslage ist die Dauer des Fusionskontrollverfahrens durch das AMG genau festgelegt: 30 Tage für Phase 1, 90 Tage für Phase 2 und 60 Tage für Phase 3 (die technisch gesehen nur eine Verlängerung von Phase 2 ist).
Der "Stop-the-clock"-Mechanismus wird es der SAMR nun ermöglichen, diese Fristen unter drei alternativen Voraussetzungen auszusetzen:
Die Parteien antworten nicht innerhalb der Frist oder nicht in zureichendem Maße auf ein behördliches Auskunftsersuchen.
Es treten neue Umstände und neue Fakten auf, die sich erheblich auf die Überprüfung des Zusammenschlusses auswirken.
Die Parteien beantragen eine Aussetzung, um mehr Zeit für Verhandlungen mit der SAMR über Abhilfemaßnahmen ("Remedies") zu haben.
Viele Kommentatoren weisen darauf hin, dass auch andere Kartellbehörden, wie z.B. die Europäische Kommission, über einen solchen "Stop-the-clock"-Mechanismus verfügen und loben dessen Einführung in China. Der Vorteil ist – so wird argumentiert –, dass der Mechanismus die bisher oft bestehende Notwendigkeit beseitigt, eine Anmeldung zurückzuziehen und erneut einzureichen. Diese Notwendigkeit ergab sich in der Praxis oft dadurch, dass die SAMR und die Parteien am Ende von Phase 3 keine Einigung über Remedies erzielen konnten. In der Tat gab es eine Reihe von Fällen, in denen die Anmeldung zurückgezogen und neu eingereicht werden musste.
In der Tat kam es in der Vergangenheit in mehr als der Hälfte aller Remedies-Fälle (30 von 55) zu einem solchen "Pull-and-Refile". Allerdings machen die Fälle, in denen solche Abhilfemaßnahmen umgesetzt werden mussten, nur einen sehr geringen Prozentsatz der insgesamt bei der SAMR und ihrer Vorgängerin eingereichten Anmeldungen aus (mehr als 4.300 von August 2008 bis Juli 2022). Gleichwohl ist der Anwendungsbereich des neuen "Stop-the-clock"-Mechanismus nicht auf Remedies-Konstellationen beschränkt. Vielmehr kann die SAMR die Uhr immer schon dann anhalten, wenn die Antwort auf eines ihrer Auskunftsersuchen verspätet oder (aus ihrer Sicht) inhaltlich unzureichend ausfällt. Ebenso liegt es im Ermessen der SAMR zu entscheiden, ob "neue Umstände" oder "neue Fakten" vorliegen, die eine Aussetzung der Frist rechtfertigen.
Mit anderen Worten: Der "Stop-the-clock"-Mechanismus ist ein Instrument für die Behörde, um die volle Kontrolle über Ablauf und Dauer des Verfahrens zu haben; die Rolle der Parteien wird dementsprechend weiter eingeschränkt, zumal zeitliche Grenzen für die Verfahrensaussetzung nicht vorgesehen sind. Dies führt insgesamt zu erheblichen Unsicherheiten in Bezug auf den Gesamtzeitraum bis zur fusionskontrollrechtlichen Freigabe. Die Transaktionsplanung kann hierdurch erschwert werden.
Bemerkenswert sind schließlich noch zwei zusätzliche Bestimmungen in der Fusionsprüfungsverordnung, die jedenfalls aus internationaler (anwaltlicher) Perspektive zu denken geben können.
Erstens sind künftig die Bevollmächtigten der Unternehmen, die eine Transaktion beim SAMR anmelden, dafür verantwortlich, die Richtigkeit der in der Anmeldung vorgelegten Informationen und Unterlagen zu gewährleisten. In der Praxis umfasst der Begriff der "Bevollmächtigen" im Wesentlichen die externen Anwälte der Parteien. Diese Verantwortlichkeit externer Rechtsberater für die Richtigkeit der Unterlagen wird – zweitens – durch eine Sanktionsbefugnis verhängt. Die SAMR kann gegen alle "Vertreter", die Informationen verheimlichen oder falsche Angaben machen, Sanktionen in Form von Geldbußen oder der Weigerung, künftige Fusionsanmeldungen von diesen Vertretern entgegenzunehmen, verhängen; letzteres kann einem de-facto-Berufsverbot bei der chinesischen Fusionskontrollberatung entsprechen.
Beide Regelungen tragen zu einer weiteren Stärkung der Position der SAMR in Fusionskontrollverfahren bei.
Generell lässt sich sagen, dass viele der Änderungen im AMG und im Entwurf der AMG-Durchführungsverordnungen in die richtige Richtung gehen und in Bezug auf den Befolgungsaufwand einen Schritt nach vorn darstellen. Gleichzeitig können jedoch nur wenige der Änderungen bedingungslos als "Durchbruch" im Sinne einer unternehmensfreundlicheren bzw. praktikableren Fusionskontrolle betrachtet werden. So werden zwar die Schwellenwerte für die Anmeldepflichtigkeit erhöht, was wahrscheinlich insbesondere für nicht-chinesische Unternehmen zu einem Rückgang der Anmeldungen in China führen wird. Gleichzeitig erhöht sich die Unsicherheit durch die nun klar ins Gesetz gegossene Befugnis der SAMR, auch Transaktionen unterhalb der Schwellenwerte zu prüfen und den Ablauf all ihrer Fusionskontrollverfahren durch den "Stop-the-clock"-Mechanismus weitgehend frei zu bestimmen.
Konkret sollten Unternehmen im Lichte dieser fusionskontrollrechtlichen Entwicklungen drei Bereiche ins Auge fassen, um ihr fusionskontrollrechtliches Risiko in China richtig einzuschätzen und zu managen:
Umsätze und Umsatzentwicklung in China: Hier ist zu prüfen, ob die Umsatzerlöse der gesamten Unternehmensgruppe insgesamt die beiden wichtigsten Schwellenwerte von 800 Mio. RMB (rund 117 Mio. EUR) und 100 Mrd. RMB (rund 15 Mrd. EUR) überschreiten.
M&A-Strategie: Insbesondere die Auswirkungen dieser Umsatzprüfung sollten – unter Einbindung der Investitions-, Corporate Strategy- und M&A-Teams – im Hinblick auf die Akquisitionsstrategie bewertet werden, um ein etwaiges „Fusionskontrollexposure“ in China rechtzeitig zu erkennen und planerisch berücksichtigen zu können.
Staffing und Ressourcenplanung: Für tatsächlich anmeldepflichtige Transaktionen sollten so früh wie möglich alle notwendigen (Ressourcen-)Planungen erfolgen. Dies gilt z.B. für die Einbindung geeigneter Rechtsberater wie auch für die Abstellung einer für die Interaktion mit der SAMR ausreichenden Zahl von Mitarbeitern; ein „Stand-by“ geeigneter Personen kann insbesondere vor einem drohen Zeitverlust durch den neuen "Stop-the-Clock"-Mechanismus führten, der bei verspäteter oder unzureichender Beantwortung von Auskunftsersuchen greifen könnte.
* * *
Wenn Sie ein Exemplar unserer hauseigenen englischsprachigen Übersetzung des überarbeiteten AMG erhalten möchten, kontaktieren Sie uns jederzeit gerne.
Verfasst von Adrian Emch, Christoph Wünschmann, Florian von Schreitter, Qing Lyu und Jingwen Hou