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15 November 2024
Dieser Beitrag kommentiert die jüngste Rechtsprechung des BGH zum Thema pandemiebedingte behördlich angeordnete Betriebsschließungen und deren Auswirkungen auf die Mietzinszahlungspflicht von Gewerbemietern.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden. Eine behördlich angeordnete Betriebsschließung kann eine Störung der Geschäftsgrundlage mit der Folge einer Vertragsanpassung darstellen, wenn das Festhalten am bisherigen Vertrag für eine Partei unzumutbar ist. Die Unzumutbarkeit sowie die Höhe der Vertragsanpassung (Mietzinsreduktion) ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.
Wie bereits in unserem Blogbeitrag vom 30. November 2021 vermutet, hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden, dass im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.
Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB). Deshalb kommt die vom Oberlandesgericht vorgenommene Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht. Es bedarf vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind.
Hierbei erwähnt der BGH ausdrücklich, dass die Nachteile bei einem gewerblichen Mieter primär im konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung liegen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Ob diese Einschränkung tatsächlich gerechtfertigt ist, ist fraglich. Es könnte nämlich dazu führen, dass Umsätze oder Kosten innerhalb eines Konzerns auf ein anderes Unternehmen im Konzern verlagert werden, um so den Schaden im Einzelobjekt zu Lasten des Vermieters zu vergrößern.
Zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB hat die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen Staatsministeriums beruhende Betriebsschließung jedoch nicht geführt. Es wurde weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung.
Da das Oberlandesgericht in seinem Urteil die konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen, welche die Geschäftsschließung im gegenständlichen Zeitraum für die Beklagte hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, die eine Anpassung des Mietvertrags erforderlich machen, nicht hinlänglich geprüft hat, wurde die Sache an das OLG zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen.
Im gegenständlichen Fall hatte die Mieterin (Beklagte) einer Gewerbeimmobilie zum Betrieb eines Einzelhandelsgeschäftes aufgrund der sich im März 2020 ausbreitenden Corona-Pandemie und die damit vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt erlassene Allgemeinverfügung zur Betriebsschließung ihre Mietzahlungspflicht für einen Monat eingestellt.I
Das LG Chemnitz – 4 O 639/20 – hielt mit seinem Urteil vom 26. August 2020 die Einstellung der Mietzinszahlung für unrechtmäßig. Die staatliche Schließungsanordnung führe nicht zu einem Mangel des Mietobjektes nach § 536 Abs. 1 BGB und nicht zur Unmöglichkeit der Gebrauchsüberlassungspflicht der Klägerin als Vermieterin. Der Beklagten sei das Festhalten an dem unveränderten Mietvertrag nicht unzumutbar gewesen, weshalb eine Anpassung des Mietvertrages auf Grundlage des § 313 BGB nicht möglich gewesen wäre.
Das OLG Dresden teilte mit seinem Urteil vom 24. Februar 2021 - 5 U 1782/20 - die Entscheidung des LG Chemnitz nur teilweise. Zwar bestätigte es die Beurteilung, dass die staatliche Schließungsanordnung kein zur Mietminderung führender Mangel des Mietobjektes nach § 536 Abs. 1 BGB sei, es läge aber eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrages vor, die gemäß § 313 Abs. 1 BGB zu einer dahingehenden Vertragsanpassung führt, dass die Beklagte für den Zeitraum der staatlichen Schließungsanordnung (nur) die Hälfte der vereinbarten Kaltmiete zu zahlen hat.
Diese Aussage war - wie oben erwähnt - dem BGH zur pauschal. Das OLG muss sich nun neuerlich mit den konkreten Auswirkungen der Betriebsschließung beschäftigen und bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dies kann auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung beinhalten. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, müssen jedoch bei der gebotenen Abwägung außer Betracht bleiben, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich.
Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sind formal zwar nur für den konkreten Einzelfall bindend. Faktisch folgen die Instanzgerichte jedoch fast ausnahmslos seiner Rechtsauffassung, weshalb sich auch die Rechtspraxis regelmäßig daran orientiert. Zukünftig werden die Vermieter vermutlich vermehrt mit Ansprüchen auf Vertragsanpassung bei pandemiebedingten Betriebsschließungen konfrontiert werden. Die Geltendmachung dieser führt jedoch nur dann zum Erfolg, wenn die Mieter die negativen Auswirkungen der Betriebsschließung auch ausreichend und konkret darlegen können.
Zu einer ähnlichen Entscheidung wie der BGH kam auch der Oberste Gerichtshof der Niederlande, welcher eine behördlich angeordnete Betriebsschließung als eine Störung der Geschäftsgrundlage betrachtet, für die Berechnung der Mietzinsreduktion jedoch klare Vorgaben macht. Siehe dazu unseren Blogbeitrag vom 10. Januar 2022.
Verfasst von Marc P. Werner und Kerstin Schoening