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BAG: „Rider“ haben Anspruch auf Ausstattung mit verkehrstüchtigem Fahrrad und einem Mobiltelefon

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigt in seinem Urteil vom 10. November 2021 (Az. 5 AZR 334/21) eine Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG Hessen, Az. 14 Sa 306/20): Arbeitnehmende, die als Fahrradlieferanten (sog. „Rider“) Speisen und Getränke ausliefern, haben gegen ihren Arbeitgebenden einen Anspruch auf Zurverfügungstellung eines verkehrstüchtigen Fahrrads und eines geeigneten Mobiltelefons zur dienstlichen Nutzung, solange keine wirksame abweichende Regelung getroffen wurde. Eine Pflicht von Arbeitnehmenden, zwingend notwendige Arbeitsmittel selbst zu stellen, kann ohne einen angemessenen finanziellen Ausgleich durch den Arbeitgebenden nicht wirksam begründet werden.

Sachverhalt

Der Kläger ist bei der Beklagten als Fahrradlieferant zur Auslieferung von Speisen und Getränken beschäftigt. Dabei ist er auf ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon angewiesen, um per Smartphone-App auf Einsatzpläne, die Adressen der Restaurants und die Kundenadressen zuzugreifen und die Speisen auszuliefern. Im Arbeitsvertrag ist die Überlassung von Arbeitsmaterialien für den Einsatz während der Tätigkeit geregelt. Von einem Mobiltelefon oder einem Fahrrad wird dabei nicht gesprochen.

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigt das vorinstanzliche Urteil und entschied, dass dem Kläger zur Ausübung seiner Tätigkeit als Fahrradlieferant von der Beklagten ein geeignetes internetfähiges Mobiltelefon und ein verkehrstüchtiges Fahrrad zur Verfügung zu stellen ist. Arbeitnehmende schulden nur die vereinbarte Arbeitsleistung, nicht jedoch die Zurverfügungstellung der erforderlichen Arbeitsmittel. Arbeitgebende hingegen tragen gemäß § 615 S. 3 BGB das Risiko, dass die Arbeitsleistung wegen in der betrieblichen Sphäre liegenden Gründen nicht erbracht werden kann. Zudem haben Arbeitgebende nach § 618 BGB die Vorrichtungen und Gerätschaften zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen und deren Funktionsfähigkeit sicherzustellen. Eine davon abweichende vertragliche Regelung kann von den Arbeitsvertragsparteien getroffen werden. Eine solche Regelung ist jedoch unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Im Fall eines „Riders“ ist dies gegeben, wenn diesem kein entsprechendes Mobiltelefon und kein verkehrstüchtiges Fahrrad zur Verfügung gestellt wird und die Nutzung des eigenen Mobiltelefons nicht gesondert vergütet bzw. die Verpflichtung zur Nutzung des eigenen Fahrrads nicht ausgeglichen wird. Dies weicht von dem gesetzlichen Grundgedanken, dass Arbeitnehmende lediglich die Erbringung der Arbeitsleistung schulden und Arbeitgebende das Betriebsrisiko tragen, ab. Der Arbeitnehmende kann auch nicht auf nachgelagerte Ansprüche wie Aufwendungsersatz oder Annahmeverzugslohn verwiesen werden.

Ausblick

Die Lieferdienstbranche ist ein umkämpfter Markt und der Kostendruck für die beteiligten Unternehmen ist enorm. Das Urteil des BAG verpflichtet die Arbeitgebenden, Fahrrad und Mobiltelefon als notwendige Arbeitsmittel auf eigene Kosten zur Verfügung zu stellen oder einen angemessenen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Dies könnte die Unternehmen veranlassen, die erhöhten Kosten auf anderem Weg zu kompensieren, beispielsweise durch eine Senkung des Arbeitsentgelts im Rahmen neuer Vertragsschlüsse. Eine gesetzliche Grenze setzt hier der gesetzliche Mindestlohn, welcher in keinem Fall unterschritten werden darf. Die Pflicht zur Bereitstellung notwendiger Arbeitsmittel trifft ferner die Unternehmen nicht, die selbstständig tätige Personen für die Essensauslieferung in Anspruch nehmen. Dies setzt selbstverständlich voraus, dass es sich bei den Kurieren um echte Selbstständige und nicht um Scheinselbstständige handelt.

 

 

Geschrieben von Paul Single und Maria Reininghaus.

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