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„Environmental, Social and Corporate Governance“ („ESG“)-Themen sind weiterhin ein Treiber für regulatorische Entwicklungen im Bereich der Lieferketten-Compliance. Ein zentraler Aspekt des „S“, der auch politisch hohe Priorität genießt, ist dabei der Kampf gegen Kinder- und Zwangsarbeit und Sklaverei. Sowohl das bereits ab dem 1. Januar 2023 gültige deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz („LkSG“) als auch der Richtlinienentwurf der EU-Kommission über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit umfassen diese Risiken.
Dennoch stellte erst letzte Woche eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO fest, dass weltweit rund 50 Millionen Menschen in Zwangsarbeit leben, was einem Anstieg um 25 % in den letzten 5 Jahren entspricht.
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission am 13. September 2022 den Entwurf einer Verordnung über das Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten im Binnenmarkt („Verordnung“) verabschiedet.
Die Verordnung enthält ein umfassendes Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten aus allen Wirtschaftssektoren auf dem EU-Binnenmarkt:
Das Verbot umfasst Produkte, die innerhalb der EU hergestellt oder in die EU importiert wurden. Zudem wird der Export solcher Produkte aus der EU verboten.
Der Vollzug der Verordnung soll durch die Behörden der Mitgliedsstaaten nach einem risikobasierten Ansatz erfolgen.
Sofern die Behörde feststellt, dass Produkte in Zwangsarbeit hergestellt wurde, müssen die betroffenen Produkte vom Markt genommen und vernichtet werden.
Ergänzend sollen die Zollbehörden Produkte an der EU-Außengrenze überprüfen, um Produkte zu identifizieren, die gegen das Verbot verstoßen.
Die zuständigen Behörden einschließlich der Zollbehörden und der EU-Kommission sollen eng zusammenarbeiten und sich fortlaufend mittels Informationssystemen informieren.
Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren kann die Verordnung noch Änderungen erfahren. Geplant ist, dass das Verbot zwei Jahre nach der Verabschiedung in Kraft tritt. Angesichts der gewöhnlichen Dauer des Gesetzgebungsverfahrens von mindestens zwölf Monaten, könnte das Verbot somit im Herbst 2025 Geltung erlangen. Insbesondere zur Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“) sollen vor Inkrafttreten umfangreiche Leitlinien veröffentlicht werden.
Der Verordnungsentwurf folgt damit zeitlich deutlich verzögert dem bereits im Juni 2022 in Kraft getretenen US-amerikanischen Uyghur Forced Labor Prevention Act („UFLPA“), der den Import bestimmter Produkte in die USA untersagt.
Angesichts der vielfältigen gesetzlichen Pflichten auf nationaler und internationaler Ebene gilt es für Unternehmen, die Transparenz in ihren Lieferketten weiter zu erhöhen und den Überblick über die stetig steigenden gesetzlichen Anforderungen an ihre Lieferketten-Compliance zu behalten.
Nach der zentralen Vorschrift des Art. 3 ist es Wirtschaftsakteuren untersagt, in Zwangsarbeit hergestellte Produkte (i) auf dem EU-Binnenmarkt in Verkehr zu bringen bzw. zugänglich zu machen und (ii) aus dem EU-Binnenmarkt zu exportieren („Verbot“). Der Begriff des Wirtschaftsakteurs ist rechtsformneutral zu verstehen und umfasst juristische und natürliche Personen.
Der Anwendungsbereich ist sehr weit gefasst. Erfasst sind Produkte sämtlicher Produktions- und Verarbeitungsstufen, die Gegenstand einer geschäftlichen Transaktion sein können und einen Geldwert haben. Eine volumen- oder wertbezogene de minimis-Regelung sieht die Verordnung nicht vor. Daher unterfallen auch kleinste Produktkomponenten, die in Zwangsarbeit hergestellt wurden, dem Verbot und bemakeln das gesamte Produkt.
Unterbunden werden soll der gewerbliche Import zur Verteilung, zum Verbrauch oder zur Benutzung im EU-Binnenmarkt. Erfolgt der Vertrieb über das Internet, gilt die Verordnung, wenn das Angebot (auch) an Nutzer in der EU gerichtet ist. Hierfür genügt in anderen Rechtsgebieten bereits das Angebot der Produkte in Euro.
Die Verordnung sieht auch keine Ausnahmen für KMU vor. Nach den Erwägungen der EU-Kommission sollen die Belange von KMU jedoch im Rahmen des risikobasierten Vollzugs durch die Behörden der Mitgliedsstaaten berücksichtigt werden. Zudem sollen insbesondere für KMU umfangreiche Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden. Eine Black- oder Whitelist-Lösung ist hingegen nicht vorgesehen.
Der Vollzug des Verbots soll durch die Behörden der Mitgliedsstaaten nach einem risikobasierten Ansatz erfolgen. Das Verfahren ist zweistufig ausgestaltet und sieht umfangreiche Auskunftspflichten des Wirtschaftsakteurs über bereits ergriffene Maßnahmen gegen Zwangsarbeit und betroffenen Produkten und Lieferanten mit kurzen Fristen vor.
Voruntersuchung:
Im Rahmen einer Voruntersuchung sollen die Behörden die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Verbots basierend auf allen verfügbaren Informationen bewerten. Als Informationen kommen auch Eingaben von Nichtregierungsorganisationen in Betracht. Die Behörden sollen mit der Voruntersuchung möglichst nah beim möglichen Zwangsarbeitsrisiko ansetzen und die Größe und Ressourcen des Wirtschaftsakteurs, die Menge der möglicherweise betroffenen Produkte sowie das Ausmaß der möglichen Zwangsarbeit berücksichtigen.
Untersuchung bei begründetem Verdacht:
Kommen die Behörden zu dem Ergebnis, dass ein begründeter Verdacht für eine Verletzung des Verbots vorliegt, leiten sie eine Untersuchung ein. Bei der Entscheidung sollen die Behörden angemessene und wirksame Sorgfaltsmaßnahmen des Wirtschaftsakteurs zur kurzfristigen Beendigung von Zwangsarbeit berücksichtigen. Ein begründeter Verdacht für eine Verletzung des Verbots soll nicht vorliegen, wenn anwendbare Gesetze, Leitlinien, Empfehlungen und sonstige Sorgfaltsmaßnahmen in einer Weise angewendet werden, die Zwangsarbeitsrisiken vorbeugt, mitigiert und beendigt. Hierbei steht den Behörden ein Ermessensspielraum zu.
Entscheidung:
Kommen die Behörden zu dem Schluss, dass eine Verletzung des Verbots vorliegt, haben sie unverzüglich
das Verbot des Im- und/oder Exports der betroffenen Produkte,
die Rücknahme der noch nicht beim Endkunden befindlichen betroffenen Produkte vom EU-Binnenmarkt innerhalb einer Frist von mindestens 30 Werktagen, sowie
die Vernichtung der betroffenen Produkte
anzuordnen und ggf. selbst umzusetzen. Die Beweislast für die Verletzung des Verbots liegt bei den Behörden.
Bei Nichtbefolgung einer behördliche Entscheidung sollen die Mitgliedsstaaten effektive, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorsehen.
Basierend auf den Entscheidungen der Behörden identifizieren die Zollbehörden von Zwangsarbeit betroffene Produkte, die importiert oder exportiert werden sollen und halten diese fest. Innerhalb kurzer Fristen müssen die Behörden entscheiden, ob die Produkte dem Verbot unterfallen, also in Zwangsarbeit hergestellt wurden. Sollte dies der Fall sein, werden die Produkte vernichtet.
Der kürzlich in den USA in Kraft getretene UFLPA wählt einen etwas anderen Ansatz als die Verordnung. Der UFLPA enthält basierend auf Section 307 des Tariff Act von 1930 ein Importverbot für Waren, die ganz oder teilweise in Xinjiang oder von Unternehmen hergestellt wurden, die wegen des Verdachts der Zwangsarbeit von US-Behörden gelistet wurden.
Dabei wird vermutet, dass derartige Produkte unter Nutzung von Zwangsarbeit hergestellt wurden. Diese Vermutung können Unternehmen ihrerseits widerlegen, indem sie
eindeutig und überzeugend, d.h. mit hoher Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass die Ware nicht ganz oder teilweise durch Zwangsarbeit hergestellt wurde,
behördliche Leitlinien erfüllen und
Anfragen der US-amerikanischen Behörde Customs and Border Protection (CBP) bezüglich der Umstände der Warenherstellung beantworten.
Anders als nach der Verordnung liegt die Beweislast nach dem UFLPA also bei den Unternehmen und nicht bei den Behörden (Beweislastumkehr). Konkret bedeutet das für Unternehmen, dass sie etwa Informationen zu Herkunft, Aufenthaltsstatus und Bezahlung der bei Zulieferern beschäftigten Arbeitnehmern zur Verfügung stellen müssen. Können sie diese Vorgaben nicht erfüllen, können die Waren beschlagnahmt und eingezogen werden; im Einzelfall drohen auch Bußgelder.
Die Verordnung wird – sofern sie in dieser Form verabschiedet wird – weitreichende Auswirkungen auf die Compliance-Pflichten von Unternehmen und deren Geschäftsleitung. Durch den UFLPA und das zum 1. Januar 2023 in Kraft tretende LkSG sind diese Pflichten bereits heute bzw. in naher Zukunft für viele Unternehmen gültig. Gerade die aus dem LkSG folgende Pflicht zur Umsetzung eines umfassenden Risikomanagementsystems für menschenrechts- und umweltbezogenen Risiken wird eine gute Grundlage für die Umsetzung der Compliance-Pflichten aus der Verordnung bilden.
Die Geschäftsleitung sollte das interne Risiko- und Compliancemanagement laufend überwachen und den neuen Anforderungen entsprechend anpassen. Da bereits das LkSG und der UFLPA das Thema Zwangsarbeit als wesentliches Risiko adressieren, sollten Unternehmen bereits jetzt organisatorische Vorkehrungen treffen und ihre internen Risikomanagementsysteme und Einkaufsprozesse entsprechend anpassen. Hier können Synergien genutzt werden. Die Verantwortlichkeiten sind zwischen den beteiligten Abteilungen (z.B. Einkauf, Compliance und Recht) klar zu verteilen. Ein besonderes Augenmaß sollte auf Berichts- und Eskalationspflichten gelegt werden. Es könnte sich z.B. anbieten, den Menschenrechtsbeauftragten nach dem LkSG einzubinden. Durch Schulungen und Richtlinien sollte ein Problembewusstsein bei den Mitarbeitern geschaffen werden sowie der richtige Umgang mit identifizierten Risiken weiter vertieft werden. Die Transparenz in der Lieferkette sollte etwa durch geeignete vertragliche Vereinbarungen erhöht werden. Auf erkannte Risiken oder tatsächliche Fälle von Zwangsarbeit ist angemessen und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu reagieren. Dabei gelten für alle Unternehmen, die dem LkSG unterfallen, ohnehin ab dem 1. Januar 2023 bzw. 2024 bereits klare Vorgaben zum Risikomanagement, insbesondere zur Risikoanalyse sowie der Umsetzung von angemessenen Präventiv- und Abhilfemaßnahmen. Besonders relevant für die compliance-seitige Absicherung des Unternehmens sowie die Kommunikation gegenüber den Behörden und sonstigen Stakeholdern ist die gründliche und sorgfältige Informationssammlung, -auswertung und Dokumentation der identifizierte Risiken sowie der ergriffenen Maßnahmen.
Unmittelbare Auswirkungen auf die Pflichten nach dem LkSG dürfte die Verordnung hingegen nicht haben, da die Verordnung – anders als der kürzlich veröffentliche Bericht des Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) zur Menschenrechtssituation in der autonomen Uiguren-Provinz Xinjiang – keine Feststellungen zu konkreten Risiken enthält.
Verfasst von Christian Ritz und Dr. Felix Werner