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15 November 2024
In Prozessen, welche die Haftung von Geschäftsleitern betreffen, kommt der Genese unternehmerischer Entscheidungen oftmals eine wesentliche Bedeutung zu. Hierbei sind Unternehmen und anwaltliche Vertreter gut beraten, auch einer vorab erteilten Zustimmung des Aufsichtsorgans zu der unternehmerischen Entscheidung Beachtung zu schenken. Denn diese kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Indiz für das Vorliegen der Voraussetzungen der Business Judgement Rule aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG darstellen.
Die Business Judgement Rule ("BJR") räumt Geschäftsleitern bei unternehmerischen Entscheidungen einen weiten Ermessensspielraum ein und reduziert damit die gerichtliche Kontrolle ihrer Entscheidungen auf eine Vertretbarkeitsprüfung. In der Unternehmenspraxis treffen Geschäftsleiter ihre Entscheidungen – zumal wenn sie bedeutsam und mit einem gewissen unternehmerischen Risiko verbunden sind – häufig in Abstimmung mit dem Aufsichtsorgan, welches sich nicht selten im Rahmen eines zustimmenden Beschlusses mit der Entscheidung einverstanden erklärt. Führt die Geschäftsleiterentscheidung letztlich zu einem Schaden der Gesellschaft, stehen die Auswirkungen der Zustimmung des Aufsichtsorgans in Streit. Auch wenn sich ein Gesellschaftsorgan grundsätzlich nicht unter Verweis auf pflichtwidriges Verhalten eines anderen Organs entlasten kann, stellt sich die Frage, ob aus der Zustimmung des Aufsichtsrats zu der schadensstiftenden Entscheidung abgeleitet werden kann, dass diese noch vertretbar, mithin also nicht pflichtwidrig war.
Grundlage für die Haftung von Geschäftsleitern gegenüber den von ihnen geleiteten Gesellschaften sowie die Notwendigkeit, sich für etwaige Pflichtverletzungen zu entlasten, sind die Haftungsvoraussetzungen aus §§ 93 AktG, 43 GmbHG.
Hiernach ist ein Geschäftsleiter im Falle der schuldhaften Verletzung seiner Sorgfaltspflichten gegenüber der von ihm geleiteten Gesellschaft zum Ersatz des durch seine Pflichtverletzung entstehenden Schadens verpflichtet. Dies gilt gleichsam für das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) als auch für den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 43 Abs. 2 GmbHG).1 Zugleich ist das Aufsichtsorgan nach der ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich verpflichtet, einen der Gesellschaft zustehenden durchsetzbaren Schadensersatzanspruch aus §§ 93 AktG, 43 GmbHG zu verfolgen.2 Im Streitfall trägt ein Geschäftsleiter die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er seine Pflichten erfüllt, also weder objektiv noch subjektiv pflichtwidrig gehandelt hat3 (vgl. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, der auf die Haftung von GmbH‑Geschäftsführern nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung entsprechende Anwendung findet)4. Der Geschäftsleiter muss sich also hinsichtlich etwaiger Pflichtverletzungen entlasten.
Dieser – für den Geschäftsleiter mitunter herausfordernden – Darlegungs- und Beweislastverteilung steht bei unternehmerischen Entscheidungen ein verhältnismäßig großer Ermessensspielraum des Geschäftsleiters gegenüber,5 der sich maßgeblich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur sogenannten Business Judgement Rule aus seinem ARAG/Garmenbeck‑Urteil6 gründet. Mit dem UMAG vom 22. September 20057 hat der Bundesgesetzgeber die BJR in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifiziert.
Nach der BJR verstößt ein Geschäftsleiter nicht gegen seine Sorgfaltspflicht, wenn er bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (sog. safe harbour).
Die zentrale Aufgabe des – für die AG obligatorisch und die GmbH je nach Beschäftigtenzahl zwingend oder fakultativ8 durch Gesellschaftsvertrag (§ 52 Abs. 1 GmbHG) zu bestellenden – Aufsichtsrats ist die Überwachung der Geschäftsleitung. Die Überwachungspflicht umfasst eine retrospektive Kontrolle der Entscheidungen der Geschäftsleitung sowie die Beratung der Geschäftsleitung im Hinblick auf die künftige Geschäftspolitik und die Strategie der Gesellschaft.9 Damit der Aufsichtsrat seine Beratungsaufgabe angemessen ausüben kann, ist der Vorstand seinerseits gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 4 AktG verpflichtet, den Aufsichtsrat über für die Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft erheblichen Geschäfte so rechtzeitig zu informieren, dass der Aufsichtsrat vor der Vornahme der Geschäfte Gelegenheit hat, zu ihnen Stellung zu nehmen.10
Die Beteiligung des Aufsichtsrats an der strategischen Unternehmensführung findet ihre Grenzen im Geschäftsführungsverbot des § 111 Abs. 4 Satz 1 AktG, welches die Übertragung von Maßnahmen der Geschäftsführung an den Aufsichtsrat untersagt. Die Geschäftsführungsaufgabe ist im dualistischen System die originäre Aufgabe der Geschäftsleitung, insofern ist kein verbindliches Weisungsrecht des Aufsichtsorgans denkbar. Der Aufsichtsrat kann sich aber hinsichtlich bestimmter Arten von Geschäften ein Zustimmungsrecht nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG vorbehalten.11
Diese systematischen Wertungen spiegeln sich in den Regelungen zur Geschäftsleiterhaftung wider. Auch wenn der Aufsichtsrat eine (pflichtwidrige) Handlung der Geschäftsleitung gebilligt hat, vermag dies die Ersatzpflicht der Geschäftsleitung gegenüber der Gesellschaft nicht auszuschließen, § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG.12 Nach allgemeinen Grundsätzen bestehen die Pflichten der einzelnen Organe der Gesellschaft nebeneinander, sodass der Vorstand unabhängig von einer etwaigen Zustimmung des Aufsichtsrats die originäre Verantwortung für die Geschäftsführung trägt.13 Dies gilt selbst dann, wenn eine Geschäftsführungsmaßnahme nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats bedurfte und der Aufsichtsrat seine Zustimmung erteilt hat.14
Auch wenn die Ersatzpflicht des Geschäftsleiters also durch eine etwaige Zustimmung des Aufsichtsorgans nicht ausgeschlossen wird, stellt sich dennoch die Frage, inwiefern die Vorbefassung des Aufsichtsrates mit und seine Zustimmung zu einer Geschäftsführungsmaßnahme bei unternehmerischen Entscheidungen unter bestimmten Voraussetzungen zumindest ein Indiz dafür sein kann, dass die Geschäftsleitung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Für diese indizielle Wirkung bestehen im Rahmen von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG mehrere Anknüpfungspunkte.
Die Zustimmung des Aufsichtsrats kann von vorneherein nur bei unternehmerischen Entscheidungen, bei denen der Geschäftsleitung ein Ermessensspielraum zuzugestehen ist, eine Indizwirkung dafür bieten, dass die Geschäftsführungsmaßnahme eine angemessene Ermessensausübung dargestellt hat. Sofern sich das Aufsichtsorgan auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen zu einer Zustimmung zu der Geschäftsführungsmaßnahme veranlasst gesehen hat, kann dies für das Vorliegen einer angemessenen Informationsgrundlage sprechen. Ferner kann die Zustimmung des Aufsichtsorgans ein Indiz dafür darstellen, dass kein schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorgelegen hat.
Der Haftungsfreiraum der BJR kommt der Geschäftsleitung ausschließlich bei unternehmerischen Entscheidungen zu Gute. Die unternehmerische Entscheidung steht im Gegensatz zur rechtlich gebundenen Entscheidung.15 Im Hinblick auf die Erfüllung der Sorgfalts- und Treuepflichten kommt der Geschäftsleitung kein Ermessen zu. Hierzu zählt etwa die Sorgfaltspflicht hinsichtlich der effektiven Durchsetzung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen Dritte sowie die Treuepflicht in Bezug auf die Wahrung der Interessen der Gesellschaft ohne Berücksichtigung eigener oder sachfremder Belange.16 Gleiches gilt für die Einhaltung gesetzlicher Pflichten (insbesondere gesellschafts- und kapitalmarktrechtlicher Informationspflichten; sog. Legalitätspflicht)17 sowie etwaiger Pflichten aus dem Gesellschafts- oder dem Anstellungsvertrag der Geschäftsleitung.18
Steht in Rede, dass die Geschäftsleitung ihre Pflichten im Hinblick auf eine solche gebundene Entscheidung verletzt haben soll, bei der von vorneherein kein Ermessensspielraum bestand, kann die Zustimmung des Aufsichtsrats keine Anhaltpunkte dafür bieten, ob sich das Handeln des Vorstands im Rahmen des rechtlich Gebotenen bewegt.
Die Zustimmung des Aufsichtsorgans kann bei Ermessensentscheidungen im Rahmen der BJR ein Indiz dafür darstellen, dass die Geschäftsleitung die unternehmerische Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen getroffen hat.
Mit der Abhängigkeit des Haftungsfreiraums von einer ausreichenden Informationsgrundlage wird die Bedeutung einer sorgfältigen Entscheidungsvorbereitung betont.19 Die Geschäftsleitung ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, namentlich dem zeitlichen Vorlauf, der Art und Bedeutung der zu treffenden Entscheidung, den tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten der Informationsgewinnung sowie dem Verhältnis von Informationsbeschaffungskosten zu dem anzunehmenden Informationsnutzen, gehalten, ihre Entscheidung dergestalt vorzubereiten, dass eine sachgerechte Risikoabschätzung möglich ist.20 Die gerichtliche Kontrolldichte ist bei diesem Maßstab, welcher der Geschäftsleitung einen Einschätzungsspielraum hinsichtlich des Umfangs der Informationsgrundlage zubilligt, auf eine Plausibilitätskontrolle reduziert.21
Die Zustimmung des Aufsichtsorgans kann dabei im Einzelfall durchaus dafür streiten, dass die Informationsgrundlage jedenfalls aus der maßgeblichen ex ante‑Sicht für die unternehmerischen Entscheidung eine ausreichende Grundlage gebildet hat. Diese indizielle Wirkung kann die Zustimmung selbstredend nur dann entfalten, wenn der Geschäftsleitung und dem Aufsichtsorgan für die Abschätzung der Risiken dieselbe Informationsgrundlage zur Verfügung stand. Sofern die unternehmerische Entscheidung im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung für das Aufsichtsorgan auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen als vertretbar erschien und dieses seine Zustimmung erteilte, ohne vorab die Überlassung weiterer Informationen zu begehren, dürfte dies dafür sprechen, dass die Geschäftsleitung ihren Einschätzungsspielraum im Hinblick auf die Angemessenheit der der Entscheidung zugrundeliegenden Informationen wohl nicht überschritten hat.
Zudem kann die Zustimmung des Aufsichtsrats einen Anhaltspunkt dafür bieten, dass die Geschäftsleiterentscheidung jedenfalls nicht von vorneherein unvertretbar war.
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Ermessensspielraum der Geschäftsleitung jedenfalls überschritten, sofern ein schlechthin unvertretbares Geschäftsleitungshandeln vorliegt.22 Ein solches ist gegeben, wenn der Geschäftsleitung eine Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, die auch für einen Außenstehenden derart evident ist, dass sich das Vorliegen eines Leitungsfehlers förmlich aufdrängt.23
Im konkreten Einzelfall kann die Zustimmung des Aufsichtsorgans durchaus dafür sprechen, dass ein in Rede stehender Leitungsfehler der Geschäftsleitung sich nicht im Sinne dieses Maßstabes "förmlich aufgedrängt" hat.
Hierfür spricht die folgende Überlegung: Nach der Rechtsprechung des BGH muss die Pflichtverletzung mithin auch für einen hypothetischen Dritten unübersehbar sein, dem in der Position des "Außenstehenden" bislang weder das Unternehmen noch die konkrete unternehmerische Entscheidung bekannt ist. Die Situation, in welcher die Geschäftsleitung dem Aufsichtsorgan eine geplante unternehmerische Entscheidung mit der Bitte um Zustimmung vorlegt, ist typischerweise auch davon geprägt, dass sich das Aufsichtsorgan mit einer unbekannten Maßnahme der Geschäftsleitung zunächst vertraut machen muss. Der hinzutretende Umstand, dass das zustimmende Aufsichtsorgan bereits mit dem Unternehmen vertraut ist und die zu treffende Entscheidung daher besser als ein Außenstehender nachvollziehen und Pflichtverstöße eher wahrnehmen kann, spricht gerade dafür, dass die Geschäftsleitungsentscheidung ex ante zumindest nicht schlechterdings unvertretbar war. Der Indizwirkung kann im Einzelfall zudem ein stärkeres Gewicht zukommen, wenn sich aus den Umständen, etwa den Gremienprotokollen, eine vertiefte Auseinandersetzung des Aufsichtsorgans mit der Geschäftsführungsmaßnahme entnehmen lässt. Für eine vertiefte Auseinandersetzung kann sprechen, dass sich das Aufsichtsorgan vor Fassung des Zustimmungsbeschlusses mehrmals mit der avisierten unternehmerischen Entscheidung befasst, an die Geschäftsleitung hierzu Rückfragen gestellt oder Wissensträger aus dem Unternehmen in diesem Zusammenhang angehört hat.
Hingegen kann aus dem Verhalten des Aufsichtsorgans nur dann geschlossen werden, dass sich bei der Befassung mit der Geschäftsführungsmaßnahme gerade kein Leitungsfehler aufdrängen musste, wenn dem Aufsichtsorgan die Umstände, aus denen grundsätzlich auf den in Rede stehenden Leitungsfehler geschlossen werden kann, bekannt oder diese Umstände für das Aufsichtsorgan jedenfalls erkennbar waren. Dieser Vorbehalt korrespondiert mit dem vorstehenden Vorbehalt, die Indizwirkung im Hinblick auf die Informationsgrundlage nur anzunehmen, wenn diese auch dem Aufsichtsorgan zur Verfügung stand (siehe oben). Abstrakt betrachtet kann die Indizwirkung immer dann nicht eintreten, wenn zwischen dem Aufsichtsorgan und der Geschäftsleitung ein Informationsgefälle bestand, welches das Aufsichtsorgan an der Wahrnehmung der im konkreten Einzelfall bedeutsamen Umstände gehindert hat.
Einem in Anspruch genommenen Geschäftsleiter sowie dessen anwaltlichen Vertretern ist nach alledem anzuraten, sich in einem Abwehrprozess auch mit der Entscheidungsgenese im Zusammenspiel mit dem Aufsichtsorgan auseinanderzusetzen.
Die indiziellen Wirkungen, welche der Zustimmung des Aufsichtsorgans zukommen können, stellen allerdings die Beweislastverteilung, die in den betreffenden Schadensersatzprozessen gilt,24 nicht in Frage, sondern ergänzen diese in zweckmäßiger Weise. Im Hinblick auf das Nichtbestehen der Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG sowie das Vorliegen der Voraussetzungen der Business Judgement Rule aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt es mithin an den darlegungs- und beweisbelasteten Geschäftsleitern, das zustimmende Verhalten des Aufsichtsrats und dessen Tauglichkeit hinsichtlich einer indiziellen Wirkung entsprechend der vorstehend erläuterten Kriterien in den Prozess einzuführen und gegebenenfalls zu beweisen. Die vorgetragenen Indizien kann das erkennende Gericht im Rahmen der tatrichterlichen Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO nach seiner freien Überzeugung berücksichtigen.
Verfasst von Christoph Pelz und Joscha Brischke.